Auf links gedreht – den Balg gewendet, das Futter begutachtet, die Nähte geprüft. Das Innere nach außen gekehrt, Kleines großgeschaut und umgekehrt, Smoking und Bettlergewand tauschen die Label. Berlin gegen den Strich gebürstet – Texte für Nörgler und Liebhaber, je nach Perspektive Warnung oder Empfehlung.

Das Stadtschloss

Das Stadtschloss

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Trauern Sie den blutigen Glanztaten der Hohenzollern-Monarchie nach? Halten Sie den Barock für Höhepunkt und Ende der Architekturgeschichte? Und glauben Sie, dass der Puls Berlins Unter den Linden am deutlichsten zu vernehmen ist? Dann besuchen Sie doch bitte die nach dem BER anmaßendste und nutzloseste Baustelle dieser Stadt.

Berlin ist eine furchtsame Stadt. Die asketisch-mediokre Beamtenmentalität, die diese Stadt seit Jahrhunderten beherrscht, fürchtet Wildwuchs, Disparates, Verdichtung, bauliche Extreme und ganz besonders architektonische Visionen – kurz: alles genuin Städtische. Gleichzeitig erzeugt das Bewusstsein der eigenen Mittelmäßigkeit und das damit einhergehende kränkelnde Selbstwertgefühl den Hang zur Selbstüberhöhung.

Ehe man sich also visionäre Architektur ins – angebliche – Zentrum der Stadt pflanzt, entscheidet man sich für etwas, das Ideenlosigkeit und große Geste schlüssig miteinander verbindet – in diesem Fall für den historisierenden Neubau einer barocken Stadtschloss-Hülle – potemkinsche Fassadenhaftigkeit statt Identitätsbildung, theatralische Gebärde statt Ausdruck, Bühnenbild statt Architektur. (Damit der Ort besonders verzweifelt nach Bebauung schreien konnte, hatte man ihn zuvor um ein anderes Schwergewicht – den Palast der Republik – erleichtert, um den untoten Geist ostdeutscher Identifikation zu exorzieren. Asbest sei Dank.)

Gern wird vom "Herzen der Stadt" gesprochen, in welches dieser "autistische Solitär" (Philipp Oswalt)  wie eine lebenswichtige Struktur  wieder eingesetzt werde, auf dass es wieder stotternd anspringe! Aber wo schlägt das Herz dieser Stadt? Ich glaube, es hat keinen Ort, es ist ein Wanderherz; es wandert den sprunghaft wechselnden Großwetter- und Gemütslagen hinterher und entgegen, in letzter Zeit vor allem – dem Geld, den Repräsentationsbedürfnissen einer orientierungslosen Bundesregierung und einer Überidentifikation mit preußischen Traditionen.

Als also 1992 der adlige Glücksritter Wilhelm von Boddin mit Spendengeldern und den bedruckten Planen einer Schloss-Simulation wedelte, dauerte es nicht lange, bis Berlin einen Wettbewerb ausrief, dessen Aufgabenstellung die Verquältheit der Berliner neu-preußischen Seele nicht besser hätte ausdrücken können: Ja, man wolle schon ein Schloss, aber doch auch wieder nicht so ganz, und irgendwie solle die ganze Geschichtlichkeit des Ortes (abzüglich der DDR-Geschichte) auch noch reflektiert werden. Kurz: Bitte drei Seiten Schloss und eine Seite – die Ostfassade (quasi der Hintern des Ensembles) – zur freien Verfügung. Es ist kein Zufall, dass aus diesem Wettbewerb ein Architekt als Sieger hervorging, der einerseits den Preußophilen die Schauseiten gab, die sie wollten, und andererseits die Ostfassade mit einer faschistoid-blutarmen Gliederung versah, an der Mussolini seine Freude gehabt hätte, die aber auch irgendeinen Bürobau in der Friedrichstraße schmücken könnte. Frank Stella schenkt der Stadt genau jene computergenerierte Belanglosigkeit, die sie sich mit ihrer Stadtpolitik redlich verdient hat.

Berlin wäre nicht Berlin, wenn man – wie es guter Architektur zuträglich ist – zuerst über die Funktion und dann über die angemessene Gestalt nachgedacht hätte.  Also wurde in  – für Berliner Verhältnisse – ungewöhnlicher Geschwindigkeit zuerst das prätentiöse Lego-Trumm in den märkischen Sand gesetzt, bevor dann ein wildes Hauen und Stechen um die beste Nutzung begann, das bis heute anhält. Und weil Berlin eben Berlin ist, sollten nicht einfach nur die Dahlemer Schrumpfköpfe und andere koloniale Preziosen der ethnologischen Sammlung ins Schloss umziehen, oh nein, ein nie gesehener Show-Room der Weltkultur sollte der aus restaurativen Befindlichkeiten geborenen Scheinarchitektur politische Legitimation verleihen. Ausgerechnet dieser feudalaristokratische Klotz sollte zum Hort der späten Versöhnung mit den Beraubten und einer allumfassenden universalistischen Umarmung werden. Darunter macht es Berlin nicht. Unnötig zu sagen, dass bis heute kein tragfähiges Konzept existiert. Und während die beteiligten Institutionen um die Macht ringen, HistorikerInnen streiten, KuratorInnen zanken und Intendantenköpfe rollen, entzückt und entzündet ein weiteres Problem die Gemüter: Soll ein Kreuz die Kuppel des Schlosses schmücken oder nicht? Ist es Ausdruck religiöser Hegemonie oder Traditionspflege? Die Wogen schlagen hoch. Und man fragt sich ungläubig: Wo waren all die leidenschaftlichen Kombattanten, als die Idee des Schlossneubaus durchgewunken wurde wie ein Beschluss zur zulässigen Breite von Zebrastreifen?

MS

Der Mauerpark

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Die Mauer

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