Auf links gedreht – den Balg gewendet, das Futter begutachtet, die Nähte geprüft. Das Innere nach außen gekehrt, Kleines großgeschaut und umgekehrt, Smoking und Bettlergewand tauschen die Label. Berlin gegen den Strich gebürstet – Texte für Nörgler und Liebhaber, je nach Perspektive Warnung oder Empfehlung.

Die Mauer

Die Mauer

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Allen restaurativen Bemühungen royalistisch versponnener Schloss-Erbauer zum Trotz läuft Berlin noch nicht Gefahr, zum Disneyland zu werden. Der Altstadtschwindel des Nikolaiviertels hat inzwischen gnädige Patina angesetzt und wer bitte (wenn er sich nicht gerade mit einem cartoonesken Komparsen in Grenzwärter-Kostüm ablichten lassen möchte) hält sich schon länger am nachgebauten Grenzhäuschen des Checkpoint Charlie auf? Nein, Berlin ist einfach nicht die Stadt der historisierenden Rekonstruktion. Nur für die Mauer hat man gerne eine Ausnahme gemacht.

Eigentlich widersetzt sich die Mauer allein schon ihrer schieren Dimension wegen der Musealisierung – immerhin lässt sie sich schlecht rahmen. Wer also die Mauer sehen möchte, findet sie – oder zumindest ihre jämmerlichen Überreste – da, wo sie vor gut siebenundfünfzig Jahren gebaut wurde. Die von Mauerspechten angenagten, mittlerweile jedoch denkmalgeschützten Betonplatten mit abstehendem Stützfuß sind in Berlin an drei Standorten erhalten geblieben, unter anderem in der Bernauer Sraße, wo sich die Gedenkstätte Berliner Mauer befindet. Das nutzlos gewordene Grenzgebilde aus Stahlbeton, das von den Berlinern zuerst eigentlich gerne vergessen, aber dann doch erinnert werden wollte, wurde hier für didaktische Zwecke aufbereitet und reinszeniert. Ein erhobener Zeigefinger.

Laut Besucherzentrum soll die Gedenkstätte an die Teilung der Stadt und deren Opfer erinnern. Nun wissen Sie aber, dass man etwas zuerst gekannt haben muss, um sich später daran erinnern zu können – was auf die meisten, größtenteils jungen, aber auch ausländischen Besucher logischerweise schon mal nicht zutrifft. Das scheint jedoch niemanden von einem Besuch abzuhalten. Offensichtlich muss man nicht aus persönlichen Erinnerungen schöpfen können, um sich an diesem Ort an selbigen erinnern zu dürfen. Und die Berliner? Nun ja, die lassen sich hier selten blicken. Vielleicht erinnern sie sich auch ohne Gedenkstätte.

Da, wo der nachrevolutionäre Eifer eilfertig die Mauer bereits geräumt hat, ragen zahlreiche Stäbe rostenden Stahls aus dem Boden, die den Verlauf der Mauer wiedergeben sollen, ohne den neu erworbenen, freien Blick durch eine Mauerrekonstruktion abermals zu behindern. Nein, man hat es nicht gewagt, den Berlinern eine zweite Mauer zuzumuten. Die rostigen Stahlstäbe vergittern den Blick, verfehlen ihre Wirkung jedoch sofort, sobald ein schreckenslüsterner Tourist seinen Selfie-Stick zückt, um sich mit Gitter-Look abzulichten. Liebe Grüße aus der Zone!

Wenn Sie keine Lust haben, geschichtliches Interesse vorzutäuschen, aber doch auf den Spuren der Berliner Mauer lustwandeln wollen, besuchen Sie die direkt an der Spree gelegene East Side Gallery. Die East Side Gallery ist eine sogenannte Freiluft-Galerie an der dem Berliner Osten zugewandten Seite der Hinterlandmauer. Fragen Sie einen beliebigen Touristen, auf welcher Seite der Mauer er sich wohl befinde, wird er sich aus naheliegenden Gründen auf der Westseite wähnen oder annehmen, die Ostberliner hätten auf der Mauer herummalen dürfen. Kompliziert.

Um es zu klären: Die East Side Gallery ist eine im Jahre 1990 anlässlich des Mauerfalls und der Wiedervereinigung Deutschlands entstandene Sammlung von überaus mittelmäßigen Gemälden an einer der meistbefahrenen Ausfallstraßen Berlins. Dass Graffitis und Witterung die Gemälde allmählich verschwinden lassen (die "Mauer" also mehr und mehr zur profanen Wand wird), beklagen nur einige der Künstler und fanatische Denkmalschützer. Auf dem schmalen Bürgersteig purzeln die Touristen übereinander, während arglose Fußgänger sich vorbeiquälen und versuchen, nicht als Fotograf missbraucht zu werden. Wenn Sie sich das wohl bekannteste Gemälde, den "Bruderkuss", nichtsdestotrotz ansehen wollen, empfehlen wir Ihnen die andere Straßenseite. Bitte bringen Sie eine Feinstaubmaske und gegebenenfalls ein Fernglas mit.

Ach ja, verzichten Sie doch bitte auf den Ankauf eines Mauer-Stücks als Berlin-Souvenir. Würde man nämlich versuchen, mit allen im Umlauf befindlichen Mauersteinen eine Mauer zu errichten, wäre diese Mauer mindestens doppelt so lang wie ihre tragische Vorgängerin. Reliquienverehrung und Geschäft – die Mauer anno 2018 – ein Hort der hysterischen Geschichtsobsession und des Gedenkstättenwahns der Stadt Berlin.

JdV

Das Stadtschloss

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Der Alexanderplatz

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