Auf links gedreht – den Balg gewendet, das Futter begutachtet, die Nähte geprüft. Das Innere nach außen gekehrt, Kleines großgeschaut und umgekehrt, Smoking und Bettlergewand tauschen die Label. Berlin gegen den Strich gebürstet – Texte für Nörgler und Liebhaber, je nach Perspektive Warnung oder Empfehlung.

Potsdamer Platz

Potsdamer Platz

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Wer den Potsdamer Platz sucht, wird ihn nicht finden. Denn der Potsdamer Platz ist, wie so viele Plätze in Berlin, ich nenne hier nur den Innsbrucker Platz, den Rosenthaler Platz oder auch den Ernst-Reuter-Platz, ein Nicht-Ort, ein gesichtsloser Verkehrsknoten, der umherirrende, gehetzte Autofahrer, unter ihnen auch verzweifelte Touristen, schubweise in die umliegenden Bezirke schleust. Wer von Ihnen in der Idylle einer Kleinstadt aufgewachsen ist und unter einem Platz eine verkehrsfreie Fläche versteht, auf der man planlos herumschweifen und das Getümmel der Stadt in angenehmer Anonymität beobachten kann, der sollte den Potsdamer Platz, oder besser gesagt, den Potsdamer Nicht-Platz, grundsätzlich meiden. Unter einem Nicht-Ort versteht man laut dem französischen Anthropologen Marc Augé monofunktional genutzte Flächen ohne besondere Geschichte oder Identität. Als Beispiel nennt er Autobahnen, Bahnhöfe oder Einkaufszentren. Und genau so erscheint uns der heutige Potsdamer Platz, der in erster Linie ein Drehkreuz ist, ein Verkehrsknoten, ein unterirdischer Fernbahnhof mit Anschlussmöglichkeit, und in zweiter Linie ein spießiger Konsumbunker. Dass das teils unterirdische Shoppingcenter am oder auch unter dem Potsdamer Platz nichtsahnenden Zugereisten eine Shoppingmeile mit Weltstadtflair in Aussicht stellt, ist eine durchaus peinliche Überhöhung einer überdurchschnittlich banalen Einkaufshalle. Wer an dieser Stelle einwendet, dass der Postdamer Platz doch sicher reich an Geschichte ist und lange Zeit sogar das pochende Herz der Metropole Berlin genannt wurde, vergisst, dass der Potsdamer Platz zuallererst damit Geschichte gemacht hat, einer der verkehrsreichsten Plätze Europas zu sein. Die erste Verkehrsampel Berlins, die die Berliner schon davor hätte warnen können, dass sich ein stark befahrener Platz unmöglich zu einem angenehmen Aufenthaltsort entwickeln kann, wurde schon 1924 an eben dieser Kreuzung errichtet. (Heutzutage steht eine Replik dieser Ampel wie ein wertloses Relikt unnütz herum und bleibt - von japanischen Reisegruppen abgesehen - weitgehend unbeachtet.) Nein, ein angenehmer Treffpunkt ist der Potsdamer Platz nie gewesen, eher ein Verkehrsknoten mit einer bedauerlichen Geschichte: Im Zweiten Weltkrieg völlig zerbombt, während der Besatzungszeit ein Dreiländereck, ab 1961 Todesstreifen, und nach dem Mauerfall vor allem eine ungeheure innerstädtische Brache, bis die Stadt Berlin das gesamte Niemandsland zu Gunsten des eigenen Portemonnaies verkaufte und den Investoren damit grünes Licht gab, die Berliner Traufhöhe zu ignorieren und die ersten Wolkenkratzerchen (Die Berliner Wolken hängen sehr niedrig!) zu errichten. Schauen wir uns den Stadtplan an und versuchen den Potsdamer Platz ausfindig zu machen, so wird es uns nicht gelingen. Der Potsdamer Platz ist eine Kreuzung, an der vier Straßen zusammenfinden - im Uhrzeigersinn: die Ebertstraße, die Leipziger Straße, die Stresemannstraße und die Potsdamer Straße. Und der Platz? Den gibt es nicht und hat es womöglich nie gegeben.

JdV

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